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Geschichte der Geschlechter - Teil 1: Ich Mann. Du Frau. Oder wie war das früher wirklich?

Männer als Jäger und Heeresführer – Frauen als Sammlerinnen, Mütter und Verantwortliche für den Haushalt. So kennst wahrscheinlich auch du die Rollen der Geschlechter in der Geschichte. Und das ist ja eigentlich auch völlig logisch: Denn nur Männer waren auf Grund ihrer körperlichen Stärke und Dominanz in der Lage, die Rolle des starken Ernährers einzunehmen. Die kleinen und zierlichen Frauen konnten sich dabei nur um das Sammeln von Pflanzen, die Erziehung der Kinder und um den Haushalt kümmern. Männer- und Frauenrollen sind in der Geschichte also auf ganz natürliche Weise so gewachsen, wie sie heute sind. Oder ist doch alles anders gelaufen?

Dieser Blog räumt mit einigen Mythen und fragwürdigen Deutungen unserer Vorgeschichte sowie geschichtlich fragwürdigen Deutungen auf und zeigt dir, wie es denn wirklich aussah mit den Geschlechterrollen in unserer Frühgeschichte (von der Altsteinzeit bis zum Beginn der Bronzezeit).

Zu diesem Thema geben wir auch spannende Impulsvorträge. Schau da gern einmal vorbei!

Zu den Impulsvorträgen

Waren nur Männer Heeresführer und Familienoberhäupter?

Um das herauszufinden, machen sich Historiker und Archäologen auf und untersuchen alte Grabstätten. Knochenfunde verraten uns viel über Alter und Geschlecht des Verstorbenen. Die Art des Grabes und vor allem die Grabbeigaben geben uns Auskunft über die Bedeutung und den Rang, die die Person zu Lebzeiten genossen hatte. Fielen die Beigaben üppig aus, können wir davon ausgehen, dass der Verstorbene ein hohes Ansehen gehabt hatte. Die Art der Beigaben weist auch auf die gesellschaftliche Rolle und Position hin. War der Verstorbene zum Beispiel ein Fürst oder ein Heeresführer? Solche Personen verdienten sich ein Ehrengrab mit besonders vielen und wertvollen Beigaben. Bisher sind wir davon ausgegangen, dass dort Männer begraben sind. Doch neueste Untersuchungen der Knochenfunde aus der Zeit der Wikinger (etwa 790 bis 1070 n. Chr.), vor allem im Norden Europas, weisen darauf hin, dass auffällig oft Frauen in diesen Ehrengräbern beigesetzt wurden. Sie müssen daher eine politische oder militärische Führungsrolle besessen haben.

Eine Frau als Heeresführerin oder Oberhaupt einer Gemeinschaft oder eines Stammes?
Wie erklärt sich das historisch?

Männer waren seit der Frühgeschichte (in Europa wäre das ab etwa 2.000 v. Chr.) häufig als Händler aktiv. Auf ihren Handelswegen blieben sie der Heimat oft längere Zeit fern. Frauen mussten sich deshalb um die Familie und oft sogar um die ganze Gemeinschaft sorgen. Dazu zählte eben auch die Verteidigung und somit eine militärische Rolle.

Aber warum wissen wir heute kaum etwas über Frauen in solchen führenden Positionen?

Die historische Forschung, die im 19. Jahrhundert ihren Durchbruch hatte, war wie die damalige Gesellschaft geprägt von einem patriarchalischen und darwinistischen Weltbild, das auch die Sichtweise auf die Geschlechter beeinflusste: Der Mann als das starke Geschlecht, die Frau als das schwache Geschlecht. Diese Haltung wurde beeinflusst von der christlichen Religion. Das wirkte sich auch auf die Forschung aus: Was wurde untersucht? Und wie wurde das Gefundene interpretiert? Da passte eine Frau als Stammesoberhaupt oder gar als Heeresführerin ganz bestimmt nicht in das Weltbild vieler (männlicher) Forscher. Solche Einstellungen setzten sich bis weit ins 20. Jahrhundert fort. Historische Funde wurden umgedeutet: Alle Entdeckungen, die auf starke gesellschaftliche Rollen hinwiesen, wurden Männern zugeschrieben. Umgekehrt wurden lange Zeit Knochenfunde, aus denen Armut, eine prekäre Lebenssituation und ein geringer sozialer Status ablesbar waren, oft als Überreste einer Frau interpretiert – einfach so, oftmals ohne näher hinzuschauen.

Starker Männerkörper und zierlicher Frauenkörper?

Aber sind denn Frauen überhaupt als Jäger und Krieger geeignet?
Sie sind doch den Männern körperlich unterlegen. War das schon immer so?

Knochenfunde aus der letzten Eiszeit (Erdzeitalter der Altsteinzeit) belegen, dass Frauen zur damaligen Zeit kräftiger und muskulöser waren als heutige Olympiasportlerinnen. Das hat sie durchaus zum Jagen befähigt.

Die Ernährung war zur damaligen Zeit zwischen Männern und Frauen völlig ausgewogen. Frauen hatten den gleichen Zugang zu Nahrungsressourcen wie Männer.

Hinzukommt, dass eine Gemeinschaft damals nur aus 20 bis 30 Personen bestand. Um ein Mammut oder einen Säbelzahntiger zu erlegen, brauchte es alle vereinten Kräfte, damit sie die Jagd nicht nur erfolgreich organisieren, sondern auch durchführen konnten. Da reichte es wohl kaum aus, wenn nur die ausgewachsenen Männer eines Stammes auf die Jagd gingen. Also waren die Frauen gleichermaßen an der Jagd beteiligt wie die Männer.

Neue Forschungen beweisen, dass Gesellschaften im steinzeitlichen Europa, aber auch in Asien keine Geschlechtertrennung kannten, vor allem nicht in dem Sinne, wie wir sie heute als typisch und vollkommen natürlich empfinden.

Mann und Frau

Die Rolle des Jägers und Kriegers – garantiert das höchste Ansehen?

Aber es lohnt sich auch ein anderer Blick auf das Ansehen von gesellschaftlichen Rollen in prähistorischen Gemeinden: Ist es berechtigt, bestimmte Rollen grundsätzlich mit Stärke zu assoziieren und andere nicht?

Viele Leute empfinden große Ehrfurcht und Respekt, wenn sie heute Bilder von steinzeitlichen Jagdszenen sehen, ob im Museum oder in bewegten Bildern von Dokumentationen. Nah liegt uns der Gedanke, dass das schon immer so war und Jäger genau wie Krieger schon damals den höchsten Rang und das höchste Ansehen in einer Gesellschaft genossen. An dieser Vermutung gibt es aber berechtigte Zweifel, denn die Sammler brachten einen erheblichen Teil der Nahrung nach Hause. Forscher gehen von rund 80% der Lebensmittel aus. Das heißt mit anderen Worten: Die Sammler waren die Haupternährer. Natürlich lieferten die Jäger mit dem Fleisch der Tiere einen beträchtlichen Anteil der notwendigen Proteine und waren beim Jagen oft größeren Gefahren ausgesetzt.

Aber hatten Jäger dadurch ein größeres Ansehen?

Dieser Frage nähern sich ethnologische Forscher, die heutige indigene Völker beobachten – wie zum Beispiel die San im afrikanischen Namibia. Hier gibt es, wie es bei indigenen Völker Tradition ist, zwar eine Geschlechterverteilung – die Männer sind Jäger und die Frauen Sammler – aber wie in Stämmen der Steinzeit bringen auch bei den San die Sammlerinnen einen Großteil der Nahrung mit nach Hause und gelten daher als Haupternährer einer Familie. Sie genießen das gleiche Ansehen wie die männlichen Jäger, sofern sie überhaupt eine Bewertung vornehmen, was Rang und Ansehen betrifft. Davon gehen Forscher eher nicht aus. Ihre Beobachtungen legen nahe, dass auch prähistorische Sammler kein geringeres Ansehen genossen hatten als ihre Artgenossen, die auf die Jagd gingen.

Was lehrt uns die Geschichte?

Betrachtest du die neuzeitliche Geschichte, dann wirst du sehen: Männer waren die meiste Zeit über das dominante Geschlecht. Sie waren Könige, Staatsoberhäupter, Heeresführer und auch innerhalb einer Gemeinschaft oder Familie tonangebend. Erst seit den 1970er-Jahren erleben wir eine Emanzipation der Frau. Wir sehen immer öfter Frauen in Führungspositionen von Unternehmen, aber auch in der Politik. Eine Frau ist heute Bundeskanzlerin und in weiteren 25 Nationen der Welt ist heute ebenfalls eine Frau Staatsoberhaupt oder Regierungschefin.

Schnell denken wir: Die Emanzipation und Geschlechtergerechtigkeit ist eine Erfindung des Feminismus im 20. Jahrhundert und vorher nie dagewesen. Aber moderne, historische Forschungen zeigen uns relativ klar: Es ist falsch, diese Einteilung in „starkes und schwaches Geschlecht“ auf die ganze Menschheitsgeschichte auszudehnen. Denn in der Frühgeschichte der Menschen und auch bei heutigen Naturvölkern gibt es sehr wohl eine Geschlechtergerechtigkeit.

Doch erst die Emanzipation der Frau hat den Anstoß dazu gegeben, dass Forscherinnen und Forscher die Entdeckungen und Knochenfunde aus historischer und prähistorischer Zeit heute differenzierter betrachten. Es werden daraus nicht mehr plakativ starke Männer und schwache Frauen rekonstruiert.

Wenn wir auf diesem Forschungskurs bleiben, werden wir noch viele starke Frauen aus der Geschichte und Vorgeschichte kennenlernen. Das sollte uns doch einen Anstoß geben, die verbleibende Geschlechtertrennung, überholte Vorurteile und die Benachteiligung von Frauen endgültig „in die Geschichte“ zu verabschieden.

In Teil 2 zeigen wir dir, wie das Zeitalter des Patriarchats beginnen konnte.

Autor: Maximilian Rose

Max

Verwendete Quellen:

Mächtige Männer - Ohnmächtige Frauen I Terra X.
URL: hhttps://www.zdf.de/dokumentation/terra-x/maechtige-maenner-ohnmaechtige-frauen-102.html, letzter Zugriff: 12.02.2021
Mächtige Männer? - Fünf Irrtümer in der Archäologie I Terra X.
URL: https://www.zdf.de/dokumentation/terra-x/5-irrtuemer-der-archaeologie-maechtige-frauen-100.html, letzter Zugriff: 18.01.2021

Bildnachweis: AinoTuominen @ pixabay (Titelbild), pixel2013@pixabay

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