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Warum fällt es uns Online leichter, Probleme anzusprechen? Und was bewirkt ein Schweizer Taschenmesser im Servicetraining?

In unserem bfkm #Insight gibt uns heute Dirk Draeger einen kleinen Einblick in sein aktuelles Changeprojekt. Mit überraschenden Erkenntnissen. Außerdem erfahren wir, was ein Schweizer Taschenmesser mit gutem Training im Kundenservice zu tun hat.

Lieber Dirk, du begleitest viele unserer Kunden bei ihren Change – Prozessen. Was war die Herausforderung des Projektes und des Kunden, das du uns heute mitgebracht hast?

Unser Kunde war auf der Suche nach einem Trainingspartner, der mit seinem TrainerInnen-Team ein Kommunikationstraining in der großen Breite durchführen kann und dabei die Veränderungsbereitschaft der MitarbeiterInnen erzeugen und verstärken kann. Sie hatten bereits ein cooles Konzept mit konkreten Lernzielen und Lerninhalten und suchten im ersten Schritt wirklich nur jemanden, der dieses Konzept für ihre 60 MitarbeiterInnen umsetzen kann.

Und wie seid ihr rangegangen?

Typisch bfkm: wir haben erst mal eine Analyse gemacht.

Wieso das?

Auch wenn ein Konzept schlüssig formuliert ist,  braucht es manchmal für eine erfolgreiche Umsetzung und Wirksamkeit von Trainingskonzepten einen externen Blick. Gerade bei größeren Investitionen finden wir das fair und wichtig, um alle Faktoren zu berücksichtigen und um ein seriöses Angebot machen zu können.

Workshop am Witheboard

Und was schaut ihr euch dabei an?

Zum einen möchten wir herausfinden, welcher TrainerInnen-Typ zum Unternehmen passt. Vom Stil her, von den Skills, von der Art und Weise, wie die MitarbeiterInnen Wertschätzung erfahren müssen und welche Methoden und vor allem Branchenkenntnisse wichtig sind.

Zum anderen bringt eine Analyse einen riesigen Mehrwert und Gewinn an Informationen. Gerade bei großen Projekten sind damit die Kosten für eine Analyse im Vergleich zu dem konkreten Nutzen eine sehr sinnvolle Investition.  

Wir schauen uns dabei an, wie zufrieden die MitarbeiterInnen sind, in welchem Stil sie mit ihren Kunden sprechen, wie viele Arbeitsgänge sie machen müssen, bevor sie dem Kunden zuhören können, z. B. bei der Anliegen-Erfassung. Da geht es also auch um ganz praktische Dinge, wie die Verifizierung des Anrufers und die Datenhygiene.

Für mich ist folgender Aspekt immer wichtig: Ein Training ist ja immer ein zielgerichteter Prozess von einem Ist zu einem Soll hin. Oft können Unternehmen zu 70 bis 80% ihren Sollzustand nach einem Training gut beschreiben, also wo sie hin wollen. Aber von dem Istzustand gibt es oft ein verzerrtes Bild, da sie ja mittendrin stecken. Und da ist der Blick von außen wirklich ein großer Mehrwert. Letztendlich können die Ergebnisse der Analyse ja auch für andere Maßnahmen genutzt werden.

Wie seid ihr in dem Projekt weiter vorgegangen?

In diesem konkreten Projekt haben wir uns entschieden, den Fokus in dem eigentlichem Training nur auf ein Thema zu richten: das aktive Zuhören.

Das aktive Zuhören ist im Kundenservice so etwas wie das Schweizer Taschenmesser.

Unsere Analyse ergab, dass die Teams absolut prozesssicher waren und über eine gute Produktkenntnis verfügten. Und dass sie ganz klar die Erwartungen ihrer Führungskräfte kannten. Gerade für einen Change Prozess ist das eine super Voraussetzung. 

Was wir mit unserem H3 Modell allerdings herausgefunden haben war das Problem mit dem Wollen. Wissen und Können waren da. Deswegen haben wir das aktive Zuhören auch gar nicht in den Vordergrund gebracht. Aber es steckte hinter allen Modulen. Wir brauchen es, um wirklich alle MitarbeiterInnen an der „Line“ in die Lage zu versetzen, vom Herzen her verstehen zu wollen, was ihre Kunden wirklich wollen. Wenn ich neugierig bin, was dein Problem ist und ich dabei das Herz an der richtigen Stelle habe, dann spielen die Tools drumherum gar keine Rolle mehr, denn ich werde mit dir nach einer Lösung suchen.

Oft sind strategische Weiterbildungsmaßnahmen einfach zu komplex. Auch das war der Grund, warum wir den Fokus wirklich nur auf dieses eine Ziel gelenkt haben – allerdings mit 5 verschiedenen Methoden.

Und wir haben dafür gesorgt, dass die TeamleiterInnen selber in der Lage sind, auch nach unserem Training das Ganze im Unternehmen weiter zu entwickeln. Dieser Aspekt ist mir immer wichtig: wir sind nur dann erfolgreich, wenn nach unserer Arbeit die Menschen selbst in der Lage sind, in ihrem eigenem Stil das Ganze auch weiter zu entwickeln. Und dazu braucht es - gerade in Veränderungsprozessen  –  einen eigenen Führungsstil. Und das ist dann alles mit ins Konzept eingeflossen.

Wie habt ihr die Führungskräfte in den Prozess eingebunden?

Mit einer Lernwerkstatt. Das ist eine Art Workshop, in dem wir einen kurzen Input geben und dann mit allen zusammen nach Lösungen suchen. Dazu bringen alle als Hausaufgabe Best-Practise-Lösungen und konkrete Probleme mit und kommen dadurch bereits fokussiert ins Training. Das Schöne daran ist, dass es in jedem Unternehmen bereits richtig gute Lösungen gibt und diese durch die Lernwerkstatt für alle sichtbar werden. Und ganz nebenbei erfahren dabei alle Beteiligten eine wundervolle Wertschätzung und gehen motiviert aus dem Workshop.  Und ganz nebenbei werden so alle eine lernende Organisation.

Und was war das Ergebnis der Qualifizierung?

In unserer Arbeit ging es weniger um konkrete Ziele in Zahlen. Dem Unternehmen war es bereits gut gelungen, seine MitarbeiterInnen mit einer gleichbleibenden Krankenquote ins Homeoffice zu bringen, ohne Arbeitsausfall und vor allem ohne Qualitätsabfall.

Die MitarbeiterInnen gehen jetzt viel selbstbewusster und kundenbezogener in die Gespräche. Und durch die schnellere Problemlösung muss der Kunde nur einmal anrufen. Das ist messbar.

Was hat die MitarbeiterInnen überrascht?

Zum einen die Begeisterung unserer Trainer und vor allem die Wertschätzung bei der Durchführung der Trainings und Workshops. Und sie waren sicher überrascht, dass sie von uns erstmal Hausaufgaben bekommen haben.

Viele Unternehmen sind wirklich gut bei internen der Organisation von Trainingsmaßnahmen. Da ist der Standard mittlerweile hoch: eine Auswahl von Getränken und kleinen Snacks bis hin zu leckeren Buffetts. Aber nach wie vor wissen in vielen Veranstaltungen die MitarbeiterInnen nicht über die Hintergründe der Maßnahme Bescheid oder worum es in dem Training  geht. Das ist dadurch anders: als positiver Nebeneffekt der Hausaufgaben unserer Lernwerkstatt wussten wirklich alle vorher schon, worum es gehen wird.

Und was hat euch überrascht?

Wirklich überrascht waren wir, wie gut das Konzept der Lernwerkstatt Online funktioniert. 

Oft ist  ein Online Workshop über 4 h hinaus anstrengender als in Präsenz. Das war hier überhaupt nicht der Fall. Im Gegenteil: ich bin überzeugt, dass wir dieses Ergebnis in Präsenz nicht so schnell bekommen hätten.

Was meinst du damit?

Workshops haben eine ganz eigene Dynamik. Oft erreicht man ganz andere Lösungen, als alle am Anfang denken. Eigentlich wollten wir Strukturen und Konzepte erarbeiten, wie wir die Veränderungen in den nächsten 5 Jahren gestalten können.

Nach einem halben Tag hatten wir jedoch das Gefühl, dass etwas Unausgesprochenes in der Luft lag. Deswegen haben wir interveniert  und erst einmal eine Aktivierung gemacht, in der alle ihren Gemütszustand verbalisieren sollten. Und tatsächlich: alle hatten den Eindruck, dass es sich gerade zäh und unbefriedigend anfühlt. Es gab einige verdeckte Widerstände – oft ein Zeichen dafür, dass nicht klar war, wer welche Ziele verfolgt. So war es auch hier: ein Workshop Teilnehmer hatte eine große Sorge um sein Team und wollte daher für seine Abteilung kein Risiko eingehen und seine MitarbeiterInnnen beschützen. Wie mutig, dass er das in so einer offiziellen Runde ausgesprochen hat! Damit bekam der Workshop plötzlich ein anderes Ziel, aber das Ergebnis war für alle Beteiligten wirklich mehr als zufriedenstellend.

Diese Offenheit hätte es in einem Präsenz-Workshop so nicht gegeben.

Dirk Draeger im Interview

Was meinst du: wodurch wurde das möglich?

Durch die Distanz. Eine physische Nähe erzeugt eine ganz andere empathische Wahrnehmung.

Durch die Distanz werden alle „gleich“ und dadurch kann man manchmal die Dinge klarer Dinge aussprechen als in Präsenz.

Man befindet sich in einem neuen Setting, man trinkt nicht wie immer gemeinsam Kaffee und isst Kekse … hier saß jeder zuhause und erzählte seine Bedenken seinem Bildschirm.  Es ist weniger eingefahren, vielleicht auch weniger gemütlich, einfach ehrlicher.

Außerdem sitzen in Präsenz die Leute eher im Kreis und können dadurch nicht alle auf einmal sehen. Zusätzlich fixieren die TeilnehmerInnen beim Sprechen oft nur ein oder zwei Personen, die ihnen gegenüber sitzen.

Im Onlinemeeting sehe ich alle auf einmal vor mir. Ganz kleine Nuancen werden dann plötzlich sichtbar und können zum Vorteil, zur Chance werden. 60-70 % der Wahrnehmung ist visuell. Und ich befinde mich in einem geschützten Raum. Dadurch kann ich mich mehr auf das konzentrieren, was gesagt wird und nicht darauf, wie es gesagt wird.

Mich hat das Ergebnis absolut begeistert und ich bin überzeugt, dass die Distanz dabei hilft, unangenehme Dinge offen anzusprechen. Der Bildschirm macht alle gleich, und mir fällt es nicht mehr so schwer, mit all meinen Vorgesetzten im Raum auf Augenhöhe zu sprechen.

Das hat alle Beteiligten überrascht und wir waren uns einig, dass wir dieses Ergebnis in Präsenz erst nach 2 Tagen Workshop erreicht hätten.

An dieser Stelle möchte ich kurz eine Werbung in eigener Sache machen: wir sind in diesem Jahr auf der Customer Focus Conference 2021, kurz #CFC21 dabei. Dort diskutieren wir über alles zu den Themen New Work & Agile Customer Service. Wer diese Themen genauso spannend findet wie ich, kann daran kostenlos teilnehmen. Ich würde mich freuen, so viel wie möglich darüber in den Austausch zu kommen.

Danke, für deinen spannenden Bericht! Und für das schöne Bild mit dem Schweizer Taschenmesser!

 

Autor: Volker Horn

 

 

Fotos: https://www.monkimia.de/

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